Kötterhaus in Varnhövel – Freunde des historischen Stadtkerns Werne e.V.

Denkmäler

Kötterhaus in Varnhövel

Umgeben von Äckern und Weiden, zwischen Werne und der Gastwirtschaft „Mutter Stuff“ liegt ein kleines Vierständehaus, das Kötterhaus an der Funnenstraße. Mündlichen Überlieferungen zufolge stammt es aus dem Jahr 1837. Die Giebeldreiecke sind verbrettert und kragen über kleinen Knaggen vor. Die Länge des Hauses misst vier Gefache. Ein Gefach bedeutet den Abstand zwischen zwei Ständern, die Dach und Deelendecke tragen. Dieses Haus besitzt also fünf Ständer. Zum Vergleich: Großbauernhöfe können bis zu 20 Ständer lang sein. Die ehemalige Torzufahrt ist inzwischen zugebaut worden. Vor dem Haus befindet sich eine schöne alte Wasserpumpe. Neben dem Haus steht ein kleines Gebäude, ein Backofen. Eine Besonderheit besteht darin, es ist aus Backstein und Bruchsteinen im Fachwerk errichtet.

Abhängigkeit der Kötter vom Großbauern

Das denkmalgeschützte Haus gehört zu dem selten erhaltenen Typus eines Kleinstbauernhauses, ein sogenanntes Kötterhaus. Kötter waren Kleinbauern, die noch einem anderen Erwerb nachgingen. Sie besaßen wenig Vieh, selten ein Pferd. Von einem Großbauern erhielten sie Land für die Bewirtschaftung zugeteilt. Dafür leisteten sie Hand- und Spanndienste und lieferten eine gewisse Menge an Naturalabgaben (Hühner, Getreide). Die Äcker der Köttersleute waren in der Regel winzig, wie Dr. Gisela Weiß vom Westfälischen Landesmuseum in Münster in einer Studie über diese Gesellschaftsschicht für das Münsterland herausfand. Viele Kötter besaßen nicht einmal Arbeitsgeräte und mussten auch diese noch von ihrem bäuerlichen Herrn mieten. Von dem wenigen, was die Kötter bewirtschaften konnten, musste ein Ehepaar meist viele hungrige Mäuler stopfen. Denn reich waren diese Familien nur an Kindern. Die mussten spätestens im Alter von sechs Jahren mitarbeiten – das Schwein oder die Kuh hüten oder später als Knechte und Mägde bei jenen Bauern dienen, von denen ihre Eltern abhängig waren.

Ein karges, arbeitsreiches Leben

Ein Leben, in dem jedes Stück Brot hart erkämpft war. Ein Leben, wie es für die Zeit des europäischen Mittelalters bis weit ins 19. Jahrhundert normal war. Unterhalb der Großbauern bestanden früher große gesellschaftliche Unterschiede im Landvolk. Dabei rangierten die Kötter noch über den Heuerlingen, die zumeist kein Vieh besaßen und nur wenig Ackerland bewirtschafteten. Dieses wurde ihnen von einem Hofbesitzer gegen Dienstleistungen und Abgaben zugeteilt. Als Anfang des 19. Jahrhunderts, nach den Stein-Hardenbergschen Bauernreformen, viele Bauern ihre Höfe freikaufen konnten, hatten die Kötter wieder das Nachsehen. Ihnen fehlte das flüssige Kapital. Dazu löste die preußische Regierung viele Allmenden – allgemein genutzte Weideflächen – auf. Dazu überschwemmten Stoffe und Webartikel aus der aufstrebenden Industrienation England den deutschen Markt – und entzogen den Köttersfrauen den Nebenerwerb des Webens und Spinnens.

Schusterwerkstatt über mehrere Generationen als Haupterwerb

Zum Hof an der Funnenstraße gehörten nur 4,8 Morgen Land. Es gab zwei Kühe, zwei Schweine und Kaninchen. Kötter und benachbarter Bauer unterstützten sich wechselseitig, Hand- und Spanndienste leistete der Kötter, der Bauer pflügte den Acker des Kötters und stellte Gespann und Gerät für die Ernte. Im Kötterhaus an der Funnenstraße wurde die Landwirtschaft nebenbei betrieben. Der Ertrag daraus reichte nicht einmal für die Eigenversorgung. Den Haupterwerb erbrachte eine Schusterwerkstatt, die in mehrfacher Generationenfolge betrieben wurde. Wirtschaftliche Umwälzungen, vor allem ein verändertes Kaufverhalten der bisherigen Kunden ließ diese Einnahmequelle versiegen. Der Schuster wurde daraufhin Bergmann auf der Zeche Werne, die ab 1899 abgeteuft wurde. Als die Zeche Werne geschlossen wurde, bot sich die Eisenhütte Westfalia in Lünen als Arbeitgeber an.

Eine schwere Geburt

Im Kötterhaus der Familie Dirks wird 1937 Nachwuchs erwartet. Auch in diesen beengten Wohnverhältnissen sind noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hausgeburten üblich. Verwandte und Nachbarn leisten Geburtshilfe. Alles läuft zunächst glatt; ein Junge wird geboren. Doch dann gibt es Komplikationen; man bemerkt plötzlich: es ist ein Zwilling unterwegs. Sofort wird die Hilfe eines Arztes herbeigerufen. Dr. Hövener, einer aus der renommierten Werner Ärztegeneration der Hövener, kommt aus dem 5 Kilometer entfernten Werne an, ob mit einem Auto oder noch mit der Kutsche, das weiß die Familientradition nicht mehr. Sie berichtet allerdings: er sei „mit fliegenden Fahnen hereingestürmt“, habe Mantel und Hut beiseite geschmissen und spornstreichs dem zweiten Zwilling auf die Welt geholfen. Doch dann nach der turbulenten Hektik die ängstlich besorgte Frage: „Wo ist denn der Erste, der Franz?“ Nach kurzem suchenden Rundblick der erlösende Ruf der Tante: „Der liegt auf dem Sofa unter Doktors Mantel!!“

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