Von Gaby Brüggemann (erschienen für Werne Plus)
Werne. 1932 versorgte eine „Illustrierte Familienzeitung mit Versicherung“ mit dem Titel „Sonne ins Haus” ihre Leserschaft deutschlandweit mit einem bunten Allerlei an Themen. „Eine putzige Zeitschrift, sepiafarben, weitgehend unpolitisch und hinreichend informativ“, charakterisierte Dr. Anke Barbara Schwarze die Zeitschrift am Mittwoch, 5. April 2023, in der Buchhandlung Beckmann.
Gedruckt wurde „Sonne ins Haus“ im Verlag Bernhard Meyer in Leipzig, kostete für Abonnenten 70 Pfennig pro Heft. Aus den Einnahmen der Zeitschrift deckte der Verlag die Prämien für Unfall-, Sterbe- und Kindergeldversicherungen ab.
Wie sich das (Sonnen-) Blatt nur wenige Monate nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 wandelte, schilderte die Werner Historikerin in ihrem spannenden Vortrag „Demontage der Demokratie im Brennglas. 90 Jahre Gleichschaltung“ vor zahlreichen Zuhörern. Eingeladen hatte zur diesem Anlass der Verein der Altstadtfreunde um den Vorsitzenden Karl-Heinz Schwarze.
Flohmarkt-Fund zeigt mediale Gleichschaltung
Ein Zufallsfund auf dem Flohmarkt in Hamm hatte Dr. Schwarze eine Entdeckung beschert. Beim Durchblättern der Ausgaben von 1932/33 fiel ihr dann auf, wie eine zunächst harmlose Zeitschrift nach Hitlers Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 systematisch zur Parteizeitung verkam.
Pausbäckige Kindergesichter auf dem Titel, Frauenromane in Fortsetzung, Mode, die Seite zu Gartenbau und Kleintierzucht oder gelegentlich eingestreute Ratschläge von Hausärzten und Juristen – die Sonne kam deutschlandweit als völlig harmlose Zeitschrift ins Haus. Es war unter Arbeitern und Kleinbürgern weit verbreitet – auch im Münsterland und im Ruhrgebiet, berichtete Schwarze. Zunächst habe auf den Seiten auch nichts darauf hingedeutet, dass sich mit der Machtergreifung der folgenschwerste Umsturz in der deutschen Geschichte ereignet hatte.
„Tot wählen ließ sich die Demokratie nicht“, so Schwarze. Denn die NSDAP sei bei den Wahlen nicht über ein Drittel der Stimmen hinaus gekommen. Weil keine
parlamentarische Mehrheit zu erreichen war, ging es dann darum, die linken und bürgerlichen Kräfte auszuschalten. Der Kampf gegen den Marxismus entwickelte sich zu heftigen Krawallen und Terror – auch im benachbarten Rünthe. Dort kam es Mitte 1933 bei Straßenschlachten zu etwa 300 Toten.
In Werne weigerte sich Bürgermeister Johannes Ohm trotz behördlichen Anordnung, bei Anlässen die Hakenkreuzfahne zu hissen. NSDAP und Zentrumspartei vereinbarten schließlich, ihn abzusetzen, worauf sich Ohm zurückzog. 1935 folgte die Auflösung des Gesellenvereins und 1938 die der Jugendverbände. Einige katholische Gruppierungen vor Ort hatten sich der Gleichschaltung verweigert.
Auf den Seiten der Zeitschrift wurde zur Jahresmitte 1933 verbal aufgerüstet. Es war die Rede von „Häuslichem Krieg“, von „Soldaten im Kampf gegen die Grippe“ oder vom „Kampf gegen Hunger und Kälte oder Arbeitslosigkeit“, beschrieb Schwarze den Wandel des Presseorgans. Von Ausgabe 15/1933 an prangt auf jeder Titelseite die diskriminierende Parole: „Deutsche, lest nur deutsche Zeitschriften“.
„Illustrierte mit Versicherung“ bringt Leserbindung
Mit der „Illustrierte mit Versicherung“ führte der Unternehmer Bernhard Meyer schon frühzeitig nach englischem Vorbild das Modell der die Abonnentenversicherung ein. Wer die von ihm verlegte Zeitschrift „Nach Feierabend“ bezog, erwarb eine Unfallversicherung und später eine Sterbegeld- und Kinderunfallversicherung, erläuterte Anke Schwarze. Als Partner kam 1899 die Nürnberger Versicherung ins Boot. Ein Erfolgsmodell. Der Verleger profitierte vom Lockvogelangebot, die Versicherung von der Erweiterung des Kundenstamms. „Die Leser waren auf das Blatt eingeschworen. Umgekehrt ließen sie sich über das Blatt einschwören“.
Entmenschlichung in der Sprache
Buchverlag und Druckerei gingen nach Meyers Tod 1917 auf dessen Schwiegersohn Kurt Hermann über – einem engen Freund von Hermann Göring. Heft um Heft wurden Begriffe der Entmenschlichung gewählt und Menschen als Parasiten, Schädlinge und Ungeziefer bezeichnet. In einer radikalen Kehrtwende gewöhnte das Presseorgan die Leser an Sprache, Symbole und Denken der Nationalsozialisten, berichtete die Referentin.
Schließlich zog sie den Bogen zur Gegenwart: Sprachliche Verrohung sei kein Phänomen des digitalen Zeitalters, verwies sie auf einen Vortag des Historikers Andreas Wirsching.
Der hatte im Juli 2019 im Theater Münster über das Erbe der Weimarer Republik gesprochen – knapp zwei Monate, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten erschossen worden war. Hasstiraden im Internet waren dem Mord vorausgegangen. Fatal habe sich Wirsching an ein lange zurückliegendes Attentat auf Außenminister Walther Rathenau erinnert gefühlt. Er wurde erst Opfer einer verbalen Hetzjagd, dann eines Anschlags.